Auf der Suche nach dem Alltagsradnetz
Seit 2015 entwickelt der Landkreis Marburg-Biedenkopf ein kreisweites Netz für den Alltagsradverkehr (RVEP).
Anfang 2021 beschließt die Stadt Wetter auf genau diesem Alltagsradnetz abschnittsweise die Oberflächenbeschaffenheit zu verbessern. Auf den hauptsächlich landwirtschaftlich genutzten Wegen sollte eine asphaltierte Deckschicht aufgebracht werden. Für diese Maßnahmen gab es vorab eine Förderzusage des Landes Hessen in Höhe von 80 % der Kosten. Wir berichteten hier darüber.
Jeder radfahrende Mensch, der im ländlichen Raum unterwegs ist und gerade im Nordkreis die Beschaffenheit der Wege kennt, wird denken:
„Ja bitte und zwar sofort und noch mehr davon!“
(Der ADFC-Fahrradklimatest für Wetter beweist es übrigens!)
Nun behauptet die untere Naturschutzbehörde (UNB) oder der Naturschutzbeirat, dass der Radverkehr auf diesen Wegen in Wetter überwiegend der Freizeit diene und daher ein Standard, der mit dem Tourenfahrrad zu befahren ist, ausreichend sei.
Die beantragten Wege haben im Wesentlichen eine Funktion für den Freizeitradler und dienen nicht der Erschließung (von)* Radwegeverbindungen, die täglich z.B. von Pendlern genutzt werden.
*Ergänzung der Redaktion
Zur Einordnung: Das oben genannte Alltagsnetz verbindet lediglich die meisten Ortschaften miteinander und die dort ausgewählten Strecken sind weitgehend alternativlos. Nun, die oben zitierte Einschätzung ist durchaus relevant, da die Genehmigungsfähigkeit eines Eingriffes immer in Abhängigkeit des zu erwartenden Nutzens betrachtet wird. Für die wenigen Maßnahmen, die (also für das Freizeitnetz) überhaupt als genehmigungsfähig erachtet wurden, wird dann von der UNB mindestens eine Bilanzierung und Ausgleichmaßnahmenplanung nach hessischer Kompensationsverordnung gefordert.
Für die Verbindung zwischen Amönau und Oberndorf sei zusätzlich eine FFH-Vorprüfung erforderlich, da der Treisbach ist hier als FFH-Gebiet ausgewiesen ist. Auch befürchtet die Behörde hier, dass der Premiumwanderweg „Gisonenpfad“ durch eine Asphaltierung abgewertet würde und der Wegeausbau nicht weiter verfolgt werden solle.
Die Kreisverwaltung ist groß und jeder darf mitspielen!
Es kommt nämlich noch die Stellungnahme der unteren Wasserbehörde (UWB) hinzu, in der sie z. B. detaillierte Baupläne mit Längs- und Querprofilen der Wege fordert.
Aus dem Fachdienst Landwirtschaft tönt es gar, dass hier mitnichten von Radwegen die Rede sei, sondern von Wirtschaftswegen welche in 3,5 m Fahrbahnbreite plus 0,75 m beidseitige Bankette herzustellen seien. Außerdem sei sicherzustellen, dass auf Hauptwirtschaftswegen die Konkurrenz mit dem Radverkehr nicht zu Funktionseinbußen im landwirtschaftlichen Verkehr führt.
Wenn sie sich in die Gefühle eines Verwaltungsfachwirtes versetzen wollen, der lediglich versucht ein paar Feldwege zu ertüchtigen, lesen sie bitte die Auszüge aus den Stellungnahmen (Aber Vorsicht: Triggerwarnung!)
Bei allem Verständnis für die Ernüchterung durch diese völlig überzogenen Anforderungen. Was tut die Stadt Wetter?
Anstatt die Verhältnismäßigkeit zu hinterfragen und sich mit den Anforderungen der Behörden auseinanderzusetzen, wirft sie direkt die Brocken hin und gibt fast alle geplanten Maßnahmen auf.
Hier muss der Faden unbedingt wieder aufgenommen werden!
Es müssen sich alle Parteien bewegen!
- Die UNB bzw. der Naturschutzbeirat sollte anerkennen, dass die Maßnahmen dem Alltagsradverkehr dienen und den Nutzen des Eingriffs neu bewerten.
- Die vom Land Hessen ausgearbeiteten Qualitätsstandards für Radverkehrsanlagen sollten allgemein akzeptiert werden.
- Bei geringfügigen Eingriffen sollte die Bilanzierung nach Kompensationsverordnung durch die Kommunalverwaltung selbst erstellt werden können.
- Der Landkreis sollte ein Strategie entwickeln, wie die Kommunen bei der Planung und bei naturschutzfachlichen Anforderungen unterstützt werden können.
- In den kleineren Kommunen arbeiten Verwaltungsfachleute und keine Bauplaner. Die Landkreisbehörden sollten entsprechend unterstützend handeln.
- Die Stadt Wetter sollte mehr Durchhaltevermögen zeigen, wenn sie es mit der Radverkehrsförderung ernst meint.
Der Radverkehr in Wetter wird sich also vorerst weiterhin auf solchen Wegen abspielen:
Die Stellungnahme zu oben gezeigtem Weg war folgende: „Aus radfahrtechnischer Sicht besteht für die Maßnahme keine Notwendigkeit, da der trockene, gut mit wassergebundener Decke befestigte Weg für den Tourenradfahrer ohne Einschränkungen nutzbar ist.“
Offroad-Fans wird es freuen!
Oder brumm, brumm, brumm wir düsen weiter ganz naturfreundlich ohne weitere Versiegelung (?) mit dem Auto durch die Gegend.
Radverkehr ernst nehmen? Hier nicht!
Ach, eine Frage noch! Jetzt wo fast jedes zweite neu zugelassene Fahrzeug ein SUV ist.
Man könnte doch auf eine asphaltierte Deckschicht bei Kreisstraßen verzichten!!
Das ist Unfug?
Stimmt, auf solche Ideen kommt man nur bei Wegen, die mit dem Fahrrad befahren werden sollen!
Das Land Hessen ist übrigens sehr stolz darauf „Qualitätsstandards für den Radverkehr“ einwickelt zu haben. Wassergebundene Deckschichten auf dem Alltagsradnetz sind dort aus gutem Grund kein Thema!
Quellen: Behördlicher Schriftverkehr – Auskunft nach HUIG (Anspruch auf freien Zugang zu Umweltinformationen)