Sanfte Mobilität ist sozial

Kürzlich hat die Stadt Marburg die Ergebnisse einer repräsentativen Bürgerbefragung aus dem Jahr 2017 veröffentlicht.
Hier wurden unter anderem Fragen zu Mobilitätsbedürfnissen gestellt.

Hier das Dokument: Marburg-Umfrage 2017 (pdf-Datei)

Die Antworten wurden auch unter soziodemografischen Gesichtspunkten ausgewertet. Hierbei gibt es Auffälligkeiten bzgl. dem Zusammenhang zwischen Einkommensverhältnissen und speziellen Mobilitätsbedürfnissen bzw. -Wünschen.

Bei der Einschätzung der Wichtigkeit des ÖPNV gibt es kaum Unterschiede zwischen den Einkommensgruppen. Die Meisten halten ihn für „sehr wichtig“.

Anders sieht es bei den Mobilitätsformen Rad- und Fußverkehr aus. Fast 50% der Haushalte mit einem Einkommen unter 1500 € halten die Radverkehrsförderung für „sehr wichtig“ und setzen sich damit deutlich von höheren Einkommensgruppen ab!

Auch beim Fußverkehr gibt es Verwerfungen, wobei die Gruppe „über 7500 €“ aufgrund ihrer geringen Größe in ihrer internen Verteilung nicht besonders repräsentativ ist. (Seite 21, Abbildung 11) Der Trend wie beim Radverkehr wird allerdings auch hier deutlich.


„Mobilität ist ein Grundbedürfnis!“
Diesen Satz hören wir immer wieder vor allem von der Lobby, die kalte Füße bekommt wenn sie den Druck der Verkehrswende verspürt und Angst bekommt, mann könnte ihr Ressourcen wegnehmen.
Von „Enteignung“ ist die Rede, im Angesicht eines Einfahrverbots in einzelnen Straßen für besonders schmutzige Fahrzeuge.

Was ist mit der ungleichen Verteilung der Verkehrsräume und der öffentlichen Flächen? Findet die eigentliche „Enteignung“, wenn man davon sprechen kann, nicht eher hier statt?

Man könnte den Wunsch nach einer besseren Rad- und Fußverkehrsinfrastruktur derer, die sich nur schwer oder gar kein Auto leisten können als selbstbewusste Emanzipation betrachten. „Dann habe ich eben kein Auto aber ich möchte mich trotzdem effizient und sicher bewegen!“. Das Entwickeln und Vorhalten einer guten Infrastruktur für den nichtmotorisierten Induvidualverkehr hat m. E. einen positiven Einfluss auf die sozialen Teilhabe.

Dort wo dem motorisierten Individualverkehr der Status der einzigen ernst zunehmenden Mobilitätsform zukommt, wird sich der Nutzer seiner Füße oder der Überlandbuslinie immer irgenwie als nicht vollwertig vorkommen. Es sei denn er ist ein Rebell und das sind die wenigsten.

Der positive Sozialeffekt gilt meines Erachtens aber nicht nur für Menschen mit kleinem Einkommen. Die „Massenmotorisierung“ ist ein natürlicher Feind sozialer Strukturen. Sie fördert Einkaufszentren auf der grünen Wiese und zerstört auch noch den letzten Dorfladen.
Ein wichtiger sozialer Treffpunkt wird ersetzt durch anonyme Konsumtempel. Wer dann auf dem Dorf lebt nicht mehr selber Auto fahren kann gerät zusätzlich in eine ungewollte Abhängigkeit.
Die Vernichtung von ländlicher Erwerbstätigkeit (Bäcker, Metzger, Gastronomie, agrarwirtschaftliche Dienstleistungen etc.) und die Verdichtung dieser Gewerbe in den Städten hat m. E. durch den direkten Konkurrenzkampf und die Sogwirkung härtere Arbeitsbedingungen zur Folge. Hier gilt es übrigens einen Teufelskreis zu durchbrechen, wenn man eine Veränderung herbeiführen möchte, denn die Massenmotorisierung macht den Supermarkt auf der grünen Wiese möglicht und dieser Supermarkt, wenn er endlich jeden lokalen Händler in die Knie gezwungen hat, erfordert wiederum Motorisierung um ihn zu erreichen.
Der Mensch denkt jetzt: „Ohne Auto geht es nicht!“

Der Trend zur Aufrüstung im Straßenverkehr mit immer größeren, schwereren und (nur für die Insassen) sichereren Fahrzeugen ist auch nicht unbedingt als sozial zu bewerten. Einschüchterung und aggressives Verhalten bis hin zur Nötigung sind auf der Straße zum Tagesgeschäft geworden. Diese Eigenschaften spiegeln sich übrigens deutlich im Fahrzeugdesign wieder, welches bei den Käufern offensichtlich gut ankommt.
Hier dominiert „einschüchternd“, „bullig“, „kämpferisch“ aber mindestens „sportlich“ oder „frech“. Ein „freundliches Lächeln“ bekommt man eigentlich nur beim Klein- und Kleinstwagen.

Ich schreibe hier natürlich aus einer ideologischen Sicht und weiß, dass andere Menschen eine ganz andere Meinung haben. Die finden Shopping-Malls gut, pfeifen auf soziale Gerechtigkeit und sagen, dass das „Recht des stärkeren“ OK ist und würden Menschen die anders denken am liebsten ständig eine reinhauen.
Vielleicht ist das in Deutschland sogar die Mehrheit.

Dann müsste man sich natürlich die Frage stellen, wie viel Sinn ein Engagement an dieser Stelle eigentlich macht.

Und übrigens:

Den Spruch „Erst kommt der Hunger, dann kommt die Moral“ werde ich für mich persönlich in nächster Zeit kritisch hinterfragen.

Folgende Grafik zeigt deutlich die Tendenz, dass die Wichtigkeit von „Nachhaltigkeit, Umwelt- und Klimaschutz“ mit steigendem Einkommen sinkt.

Bzgl. dieser Umfrageergebnisse stellt sich allerdings die Frage nach „Ursache und Wirkung“:
1. Werden wir rücksichtsloser, je reicher wir materiell gesehen sind?
2. Werden wir materiell reicher, je rücksichtsloser wir sind?

 

 

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