Gewohnheitsrecht bricht jedes Recht
"Der Talgrund – die Strecke zwischen Oberrosphe und Schönstadt – soll für den Pkw-Verkehr gesperrt werden. Mit dieser Information ging Oberrosphes Ortsvorsteher Tobias Kunz in die jüngste Sitzung seines Ortsbeirates."
So beginnt der Artikel in der Oberhessischen Presse von Samstag den 12. Oktober mit dem Titel „Ortsbeirat fürchtet Straßen-Sperrung“.
Das wird wohl auch Zeit dachte ich und freute mich schon auf den Rest des Artikels. Ich erwartete, dass endlich realisiert worden ist, wie unpassend es ist einen solchen Weg mitten durch den Burgwald als öffentliche Verbindungsstraße für den motorisierten Individualverkehr zu nutzen. Leider entpuppt sich der vermeintliche Vorstoß als Luftnummer.
Nun, dass dort Salamander überfahren werden hat sich offenbar herumgesprochen. Dass die Straße (die baulich gesehen nur ein asphaltierter Wirtschaftsweg ist) durch die intensive Nutzung starke Schäden aufweist ist auch klar, zumal sich schon der ehemalige Bürgermeister von Cölbe Herr Carle mit dem Thema beschäftigen musste.
Siehe hier: https://www.op-marburg.de/Landkreis/Nordkreis/Schleichweg-ist-wieder-offen
Der Charakter dieses Weges lässt eigentlich gar keinen motorisierten Individualverkehr zu! Er durchschneidet auf einer Länge von über 2 Kilometer das Vogelschutzgebiet Burgwald, durchläuft den südlichen Rand des Naturschutzgebietes „Langer Grund“ und verläuft weiter entlang der Bachaue des „Bach aus dem langen Grund“ relativ nahe an der Gewässergrenze. Dass hier (mindestens) Feuersalamander überfahren werden, kann jeder sehen, der nicht mit dem KFZ unterwegs ist (siehe Fotogalerie).
Nach heutigen naturschutzrechtlichen Maßstäben würde man dort noch nicht einmal einen asphaltierten Radweg genehmigt bekommen!
Hier gilt in der Tat nur reines Gewohnheitsrecht.
Das Hessen Forst hier quasi ein Wegerecht für den KFZ einräumt passt auch gar nicht zu deren jüngster Maxime, nämlich den Rückbau von asphaltierten Waldwegen. Die Stadt Rauschenberg wird sich darüber hinaus sicherlich nicht an notwendigen Sanierungsmaßnahmen beteiligen, da sie dort überhaupt keine Wegebeziehungen hat. Nichts desto Trotz ist man offensichtlich der Meinung, dass dieses Gewohnheitsrecht nicht zu beschneiden wäre.
Als Argument dafür wird der Abkürzungscharakter dieser Route gegenüber der Führung über B62 und B3 genannt.
Nun, und da wird leider sehr unseriös gerechnet! Möchte man wissen, wie man am schnellsten von A nach B kommt, dann spielt natürlich die Fahrgeschwindigkeit eine erhebliche Rolle. So schlau ist dann auch der Google-Routenplaner und prognostiziert auf der Route über die Bundesstraßen- je nachdem welcher Quell- und Zielort innerhalb der Ortsteile gewählt wird – nur eine um 1 bis 3 Minuten! längere Fahrzeit gegenüber dem Waldweg!
Oberrosphes Ortsvorsteher weiß offensichtlich um diese Tatsache und führt daher noch das Argument an, dass weniger gefahrene Kilometer eine geringere Belastung der Umwelt bedeuten würde. Nun ich bin kein Experte für Umweltverträglichkeitsprüfungen aber ich lehne mich hier aus dem Fenster und behaupte dass die Umweltauswirkungen bei der Fahrt durch den Wald aufgrund verschreckter und totgefahrener Wildtiere größer sind als die Fahrstreckenverlängerung auf der Bundesstraße.
Das im Dezember 2012 unter Mitwirkung der Ortsbeiräte erstellte Dorfentwicklungskonzept enthält Oberrosphe betreffend folgenden Wortlaut:
Die beiden Rosphe-Orte liegen am Südrand des Burgwalds, mit 20.000 Hektar das größte zusammenhängende Waldgebiet in Hessen, gleichzeitig Natura 2000-Fläche und FFH Vogelschutzgebiet mit insgesamt 12 kleinräumigen Naturschutzgebieten. Der ökologische und Naturschutzwert des Burgwalds wird durch seine Unzerschnittenheit sowie das Nebeneinander vieler wertvoller Biotope gestützt: so bildete sich ein Refugium für eine große Zahl bedrohter Tier- und Pflanzenarten. Viele Aktivitäten bemühen sich um die Erhaltung dieser hohen Qualität.
Soviel zum Thema Umweltschutz, reden wir über den Rad- und Fußverkehr.
Der Ortsvorsteher von Oberrosphe führt als Argument zur Offenlassung des Weges das Argument an, dass es sich ja nicht nur um einen Promilleweg handele!
Ja, er sagte: „nicht nur“! Da bleibt mindestens jedem fahrradfahrendem und zufußgehendem Menschen sie Spucke weg!
Implizit gibt Herr Kunz also zu, dass es auch ein Promilleweg ist?
Wie ist das denn zu bewerten?
Auf dem Weg verläuft die Route des Burgwaldradweges. Aufgrund der Dimensionen ist hier auch kein sicheres Überholen durch KFZ möglich!
Das bedeutet für den radfahrenden Menschen, eine der folgenden Möglichkeiten zu wählen:
1. Ich fahre ganz nach rechts und lasse mich gefährlich überholen mit der Gefahr in Folge eines Sturzes unter die Räder zu kommen.
2. Ich halte an und drücke mich so weit wie möglich in Richtung Graben, damit das KFZ bequem passieren kann.
3. Ich fahre weiter mit dem notwendigen Sicherheitsabstand zum rechten Fahrbahnrand und habe für den Rest der Strecke ein Kraftfahrzeug im Nacken.
Für was auch immer er sich entscheidet, den Burgwald touristisch genießen oder entspannt und sicher von A nach B kommen sieht anders aus.
Entsprechend wird sich hier der Radverkehrsanteil bestenfalls im Pedelec-Bereich steigern.
Gefahren für den Radverkehr sieht Herr Kunz jedoch eher durch Schlaglöcher und spricht sich daher für eine Sanierung der Fahrbahndecke aus.
Zur Finanzierung schlägt er vor Förderungen aus einem hessichen Programm mit einer Förderquote von 65% zu beantragen.
(https://hvbg.hessen.de/bodenmanagement/flurneuordnung/dem-l%C3%A4ndlichen-charakter-angepasste-infrastrukturma%C3%9Fnahmen)
Im Radverkehrsnetzplan des Landkreises wird für die Strecke folgende Maßnahme empfohlen: „Schaffung einer alltagstauglichen Radwegeverbindung, Oberfläche“.
Thema Tourismus
Zugegeben, Oberrosphe ist geografisch abgelegen und von daher ist es nachvollziehbar dass man nicht gerne eine Verbindungsstraße aufgeben will.
Dieser Charakter macht aber ggf. auch den Reiz eines solchen Ortes aus, wie man am Beispiel Katzenbach sehen kann. Den touristischen Entwicklungsansätzen im Ort würde die Umwandlung eines Promilleweges in eine attraktive Wander- und Fahrradinfrastruktur jedenfalls nicht schaden!
Im Dorfentwicklungskonzept wird für Oberrosphe eine fehlende Anbindung an das Radwegenetz beklagt und eine Steigerung der touristischen Attraktivität als wichtiges Ziel definiert!
Hier werden innerhalb eines Handlungsfeldes folgende Aktivitäten hoch priorisiert:
Konzepte und Realisierung von attraktiven überörtlichen Erlebnisbereichen, (Rad-)Erlebnis-Wanderwegen, Einbindung in das regionale Wanderwegesystem
Gilt das noch?
Oder gilt das nur dann wenn Einzelinteressen und Gewohnheitsrecht nicht tangiert werden?
Cölbes Bürgermeister Herr Ried strebt nach Aussage gegenüber der OP eine Verringerung des Verkehrs an und denkt darüber nach, ob die Strecke sich für den „auswärtigen Verkehr“ sperren lässt. Bürger aus Oberrosphe, Schönstadt und den umliegenden Orten sollten sie weiterhin auch mit ihren Autos nutzen dürfen. Wer wissen möchte, ob eine derartige Verkehrsbeschränkung die gewünschte Wirkung zeigt, der kann sich das anhand eines Beispiels im Wetteraner Stadtgebiet anschauen.
Für den „Niederaspher Weg“ zwischen Amönau und Niederasphe gilt seit Jahren eine solche Beschränkung. Hier haben sie Lieferverkehr und Fahrzeuge mit auswärtigen Kennzeichen zu bestimmten Zeiten im Minutentakt.
Hier eine kleine Auswahl von Bildern der besagten „öffentlichen Verbindungsstraße“ zwischen Oberrosphe und Schönstadt :